Die zeitgenössische Wirkungsgeschichte von Richard Wagners 'Das Judenthum in der Musik'
Richard Wagners Das Judenthum in der Musik ist zweimal, 1850 und in erweiterter Form 1869, erschienen. Fand die erste Publikation noch ein relativ geringes Echo, so war dies bei der zweiten fast zwanzig Jahre später nicht mehr der Fall: 1869 löste die Broschüre in der Presse und in weiten Kreisen der Öffentlichkeit, auch ausserhalb Europas, eine massive Debatte aus, die in der Folge eine solche Eigendynamik entwickelte, dass sie sich selbst potenzierte und als «Kommunikation über Kommuni-kation» weit über Wagner als eigentlichen Gegenstand hinausging. Die Schrift wurde dadurch nicht nur zu einem wirkmächtigen Politikum, sondern in der Folge auch zur wichtigsten Referenzquelle für musikbezogene antijüdische Hetzschriften.
Wagners Text ist zwar in Dutzenden von Fachpublikationen kommentiert worden, gleichzeitig liegen über seine Wirkungsgeschichte bis heute nur ungesicherte Erkenntnisse vor. So wurden einige der Zeitungsartikel und Broschüren der Debatte von 1850 und 1869 in den letzten zwanzig Jahren erschlossen und diskutiert, doch eine kritische Sichtung und Analyse aller Rezeptionsquellen steht in der Forschung noch aus. Dadurch ist nicht nur ein wissenschaftlich abwägendes Gesamtbild der Auswirkungen von Wagners Text auf die Geschichte der musikbezogenen Judenfeind-schaft eingeschränkt. Auch die Deutung der zeitgenössischen jüdischen Perspektive auf die gegen sie gerichtete Aggression wird behindert. Im Gesamtblick können die zahlreichen Reaktionen auf Wagners Text nämlich auch als wesentlicher Seismograph jüdischer Emanzipation und Assimilation zur Zeit der deutschen Reichsgründung gelesen und genutzt werden: als Schlüsseldokumente zur Erhellung eines gesellschaftlichen Resonanzraums musikbezogenen jüdischen Lebens unter den Bedingungen des Antisemitismus und dessen kontinuierlicher Fortentwicklung in Kaiserreich und Weimarer Republik.
Das Projekt Die zeitgenössische Wirkungsgeschichte von Richard Wagners 'Das Judenthum in der Musik' will diese eklatante Forschungslücke schließen: mit einer analytischen Durchdringung und Neuperspektivierung aller erreichbaren Rezeptions-quellen im Rahmen einer Monographie, flankiert durch die digitale Dokumentation der zeitgenössischen Quellen zum 'Judenthum' und deren Rezeption bis 1945; schliesslich mit einem Workshop, der die interdisziplinäre Perspektive des Projekts fruchtbar ergänzen soll. Der Judenthum-Text wird hierbei anschlussfähig an aktuelle Forsch-ungsdiskurse zur (Musik-) Historiographie des Antisemitismus sowie zum Judentum im 19. Jahrhundert gemacht und zugleich eine differenzierte Einordnung der Broschüre innerhalb der Wagner- und Moderne-Forschung vorgelegt.
Das Projekt kooperiert mit dem Digital Humanities Lab und dem Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel sowie der Richard-Wagner-Schriften-Ausgabe (Würzburg).
Basel, Februar 2024
Project team
Prof. Dr. Matthias Schmidt, Dr. Ina Cathrin Serif, Nicolai Rhyn M.A.
Contact adress
Nicolai Rhyn M.A.
nicolai.rhyn@unibas.ch
Universität Basel
Petersgraben 27
4051 Basel