Igor Strawinskys Ballettwerk.

Entstehung und Konzeption als interdisziplinäres Projekt

Igor Strawinsky gilt als der herausragende Ballettkomponist des 20. Jahrhunderts. Seine Beschäftigung mit dem Ballett zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk und prägt dasselbe wie bei keinem anderen Komponisten des 20. Jahrhunderts – und das, obwohl Strawinsky sich musikalisch immer wieder neuen Stilen zuwendet. Angesichts der zentralen Stellung des Balletts im Werk des Komponisten erstaunt, dass gerade diese Gattung bei Strawinsky nicht adäquat erforscht worden ist – und zwar weder als Instrumentalmusik noch als genuine Tanzmusik.

Das vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Forschungsprojekt hat zum Ziel, das Ballettœvre Strawinskys anhand von ausgewählten Balletten detailliert und systematisch zu untersuchen. Dabei soll anhand der dazu überlieferten musikalischen und tänzerischen Quellen ein Überblick über Strawinskys Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Choreografen bzw. Kostüm-/Bühnenbildnern geschaffen werden.

Ausgangshypothese ist, dass Strawinsky maßgeblich am Bühnengeschehen beteiligt war, den Tanz bereits im kompositorischen Prozess mitdachte und die Werke in regem Austausch zwischen den beteiligten Künstlern entstanden. Mit der Berücksichtigung dieser Interdependenz kann ein neues Licht auf Strawinskys kompositorische und konzeptionelle Herangehensweise an jene Tanzgattung geworfen werden.

Neben der Neuperspektivierung von Strawinskys Schaffensprozess wird diese Arbeit – hinsichtlich der Bedeutung des Tanzes im Gesamtwerk des Komponisten und aufgrund der Interdisziplinarität der Fragestellung – auch der Ballett- und Tanz-Forschung dienen. Dabei steht außer Frage, dass die ausgewählten Werke – aufgrund der zeitlichen und räumlichen Entstehungsdistanz – in einem je verschiedenen historischen Kontext gesehen werden müssen und eine generalisierbare Aussage in Bezug auf Strawinksys Tanzschaffen daher nicht möglich sein kann. Dies ist auch nicht Ziel des Projekts; vielmehr sollen die ausgewählten Ballette als Gegenstand für diachrone Schnitte in Strawinksys Ballettwerk betrachtet werden, um eine Aussage darüber zu treffen, in welchem Verhältnis Strawinsky zum Ballett als Gattung und Werk steht und in welcher Weise die Interdependenz zwischen Komponist, Choreograph und Bühnen/Kostümbildner im Entstehungsprozess des Werkes analytisch fruchtbar gemacht werden kann.

ProjektleiterProf. Dr. Matthias Schmidt
MitarbeitendeDr. Leila Zickgraf

Entdeckerkonzert "Skandal!"

In Zusammenarbeit mit dem Sinfonieorchester Basel

1913 ist als ein Schlüsseljahr in die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts eingegangen: Warum es später vielfach als "Tanz auf dem Vulkan" oder als "Übergang in den Untergang" beschrieben worden ist, begründet sich in seiner historischen Position am Vorabend des Ersten Weltkrieges, der die europäische Sozial- und Kulturordnung grundlegend verwandeln sollte.

Auch zwei der grössten Konzertskandale der Musikgeschichte fanden 1913 statt; das "Watschenkonzert" im Wiener Musikverein um Arnold Schönberg vom 31. März und die als "Massacre du printemps" in Erinnerung gebliebene Uraufführung von Igor Strawinskys Sacre du printemps im Théâtre des Champs-Élysées am 29. Mai.

2013 – 100 Jahre später – stellte das Basler Sinfonieorchester beide Skandalkonzerte in den Mittelpunkt des Entdeckerkonzerts "Skandal!", das am 30. Oktober mit verschiedenen Veranstaltungen im Casino Basel auf Facetten von Entstehungs- und Aufführungsumständen der seinerzeit aufgeführten Stücke aufmerksam machte.

Mitgestaltet wurde das Entdeckerkonzert vom am Seminar ansässigen SNF-Forschungsprojekt "Igor Strawinskys Ballettwerk". Unter anderem erarbeiteten Studierende des Musikwissenschaftlichen Seminars im Rahmen einer von Matthias Schmidt und Leila Zickgraf geleiteten Übung zum Thema "Skandal 1913" eine Broschüre und Bildercollage zu den Skandalkonzerten, die im Rahmen des Konzerts präsentiert wurden.

Plakat

Ankündigung Mitarbeitermagazain "UNI-intern"

Dissertation "Igor’ Stravinskijs Theater der Zukunft"

Cover

Das Choreodrama "Le Sacre du printemps" im Spiegel der 'Theaterreform um 1900'

Autor:in: Leila Zickgraf

Igor’ Stravinskijs Sacre du printemps gilt als Meilenstein der Musik- und Tanzgeschichte. Gleichwohl hat die Wissenschaft einen Schlüsselaspekt zum Verständnis des Werkes bislang übersehen: die ‚Theaterreform um 1900‘.
Leila Zickgraf zeigt erstmals, dass Stravinskij mit dem Sacre sein höchst eigenes ‚Theater der Zukunft‘ verwirklichte – gemeinsam mit dem Choreografen Vaclav Nižinskij und inspiriert von Georg Fuchs sowie Edward Gordon Craig. Durch die Rhythmen seiner Komposition versetzte er nämlich Tänzer wie Publikum in einen körperlich erfahrbaren Rausch, wodurch er die Zuschauer ins Bühnengeschehen integrierte. Die Ballets Russes nahmen damals – 1913 – eine mechanistische Ästhetik vorweg, die in Musik, Tanz und Theater merklich erst in den 1920er Jahren in Erscheinung treten sollte. Mit seiner interdisziplinären Ausrichtung zwischen Tanz-, Kultur-, Theater- und Musikwissenschaft sowie seiner umfassenden, auch russischsprachigen Quellenerschließung leistet das Buch einen wichtigen Forschungsbeitrag zu einem nicht wenig untersuchten, aber – wie sich zeigt – in zentralen Aspekten noch immer ungenügend ausgeleuchteten Meisterwerk.

Erhältlich unter brill.com