Leo Schrade (1960) über den Gründer Karl Nef

"Die Geschichte des musikwissenschaftlichen Studiums an der Universität Basel beginnt mit dem Jahre 1900. In den Annalen steht der Name Karl Nefs nicht nur zeitlich an erster Stelle, sondern nach dem Rang der Verdienste zuhöchst. Denn was ihm folgte, was gestern geschah oder heute geschehen könnte und was immer auch künftig noch geschehen mag, wird sich niemals mit dem Verdienst des Begründers messen können. Denn ihm oblag die schwierige Aufgabe, eine widerstrebende Fakultät von dem wissenschaftlichen Charakter der Musikgeschichte zu überzeugen. Der Widerstand, der sich hier in gleicher Weise erhob wie eine Generation zuvor an deutschen Universitäten, war so unbegründet nicht. Denn nachdem einmal das Band zerrissen war, das der Musikwissenschaft eine gesicherte Stellung innerhalb der mittelalterlichen Universität gewährt hatte, blieb die Musik als Fach wissenschaftlichen Studiums von der Universität bis in die Neuzeit ausgeschlossen. Alle historischen und ästhetischen Betrachtungen der musikalischen Kunst, die im 18. und 19. Jahrhundert hervortraten, entstanden ausserhalb der Universität. Es ist merkwürdig genug, daß sie kaum einen Einfluß auf die Anerkennung des historisch-wissenschaftlichen Charakters durch akademische Kreise ausübten, obschon es sich doch dabei um ganz hervorragende, zum Teil bis heute unübertroffene Leistungen handelte. […]

Seit seiner Habilitation im Jahre 1900 entwickelte Karl Nef in stetiger und erfolgreicher Arbeit die Musikwissenschaft als historisches Lehrfach. Bis zur endgültigen Anerkennung war es freilich ein weiter Weg. Vor allem fehlte es an der Institution, die wohl am meisten zur wirkungsvollen Verbindung von Forschung und Lehre beiträgt, an dem Seminar. Als Karl Nef – er wurde 1909 zum außerordentlichen Professor ernannt – im Jahre 1911 die Begründung eines Seminars beantragte, wurde sein Antrag abschlägig beschieden, und die Begründung zeigte erneut, daß die Existenz der Musikwissenschaft noch längst nicht gesichert war. Nach den geltenden Bestimmungen war ein Seminar nur in Verbindung mit einem gesetzlichen Lehrstuhl zulässig. Trotzdem erreichte Karl Nef die Einrichtung eines Seminars im Jahre 1912, obwohl er selbst erst 1923 zum ordentlichen Professor ernannt worden ist. Gerade mit dieser Neuerung ließ sich auf eine "Nef-Schule" hoffen, die sich denn auch mit den Jahren gebildet hat. Überhaupt kam es in den zwanziger Jahren rasch zu beträchtlichen Erweiterungen, indem 1921 Wilhelm Merian und 1924 Jacques Handschin die Venia legendi erhielten. […]

Noch in anderer Hinsicht kommt dem Werk Karl Nefs überragende Bedeutung zu. Neben der Überwindung der Widerstände gegen ein neues Fach innerhalb der Fakultät hat er es vermocht, auch der Bürgerschaft der Stadt einen hohen Begriff von Musikwissenschaft zu geben. Dies mag ein unmittelbares Ergebnis seiner Tätigkeit als Musikkritiker und Leiter der Musikforschenden Gesellschaft gewesen sein. Doch erklärt sich sein Erfolg wohl auch durch die Einsicht, daß ein Gelehrter es hier noch vermag, für die Bedürfnisse seines Faches das Interesse weiter Kreise der Bürgerschaft zu wecken. Heutigentags ist dies wohl überhaupt nur noch innerhalb einer politisch-sozialen Gemeinschaft möglich, in der die kulturellen Anliegen sich unmittelbar auf die Anteilnahme seitens der Bürger und Behörden des Stadtstaates stützen. Darauf wohl beruht der eigenartige und seltene Erfolg, mit dem Karl Nef für die Musikwissenschaft ein unbestrittenes Ansehen in Universität und Stadt errungen hat."

(aus: Leo Schrade: "21. Musikwissenschaft", in Lehre und Forschung an der Universität Basel zur Zeit der Feier ihres Fünfhundertjährigen Bestehens, dargestellt von Dozenten der Universität Basel, Basel: Birkhäuser 1960, S. 257–262.)


Jacques Handschin (1943)

"Im Rückblick erinnert sich der Berichterstatter besonders einiger Jahre in der Zeit vor dem jetzigen Krieg, als das Seminar den Vorzug hatte, eine Anzahl von Musikwissenschaftlern zu seinen Mitarbeitern zu zählen, die bereits durch die Promotion ihren Fähigkeitsausweis geliefert hatten (also nicht in Verdacht kommen konnten, nur der Erringung eines Titels wegen das Seminar zu frequentieren); darunter waren einheimische Kräfte und auswärtige, unter den letzteren wiederum solche, die inzwischen zu Vertretern des Faches an auswärtigen Hochschulen geworden sind, ja sogar ein Freund unseres Instituts aus Schweden, der bereits als Universitätsdozent zu uns kam. Solche Entwicklungen sind zunächst durch den Krieg abgeschnitten worden, und auch das Leistungsquantum der Studierenden im engeren Sinne hat seit dem Krieg naturgemäß merklich abgenommen. Darum sind wir aber doch nicht verloren, sofern wir nur das Ideal einer hochwertigen Leistung aufrechterhalten."