MWS Vortragssaal
Veranstalter:
MWS, SMG Ortsgruppe Basel
Musikgeschichte wird nicht nur geschrieben und gelesen, sie wird auch komponiert, gesungen, gespielt, gehört und gesehen. „Geschichte“, schreibt der Theaterwissenschaftler Freddie Rokem, „kann an sich nur wahrgenommen werden, wenn sie rekapituliert wird, wenn wir irgendeine Form von Diskurs, wie das Theater, schaffen, aufgrund dessen eine organisierte Wiederholung der Vergangenheit konstruiert wird, die die chaotischen, reißenden Ströme der Vergangenheit in einen ästhetischen Rahmen stellt.“ Aufgeführte Musikgeschichten, wie sie seit dem 18. Jahrhundert auf den europäischen Musiktheaterbühnen zu finden sind, verhandeln musikhistorische Praktiken, Ereignisse oder Artefakte ebenso wie gesellschaftliche Verhältnisse und politische Ziele; oft (aber nicht immer) begegnen uns dabei historische Figuren. Lebendig und erfolgreich ist diese Art der Auseinandersetzung mit Musikgeschichte bis heute, sei es im Musical, im Schauspiel mit Musik oder in der Oper.
Ausgehend von Rokems Überlegungen zum Theater als Diskursraum für Geschichte denke ich in meinem Vortrag über Geschichtspolitik auf der Opernbühne nach. Als Fallbeispiele dienen mir hierfür zwei Repertoireopern des langen 19. Jahrhunderts: Richard Wagners Meistersinger (1868) und Hans Pfitzners Palestrina (1917). Beide Opern verknüpfen die Auseinandersetzung mit Musikgeschichten des 16. Jahrhunderts mit geschichtspolitischen Diskursen ihrer Entstehungszeit (insbesondere Nationalismus und Antisemitismus), die über die lange und kontinuierliche Aufführungsgeschichte der Opern immer wieder reaktualisiert werden. Gleichzeitig wird auch immer wieder neu um sie gestritten. Wie verhält sich dieses gesellschaftliche Potential von Musiktheater als Diskursraum zur (durchaus auch problematischen) Ästhetisierung von Geschichtspolitik in der Oper?
Anna Langenbruch ist Professorin für Kulturgeschichte der Musik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie forscht und veröffentlicht zur Kulturgeschichte von Exil und Migration, zur Geschichte und Theorie der Musikhistoriographie, zum Musiktheater des 18.–21. Jh. sowie zu Wissenschaftsgeschichte und Gender Studies. 2016–2022 leitete sie die Forschungsgruppe „Musikgeschichte auf der Bühne: Konstruktionen der musikalischen Vergangenheit im Musiktheater“ im Emmy Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Publikationen u.a. zu Klang als Geschichtsmedium (Bielefeld 2018) und Musikgeschichte auf der Bühne – Performing Music History (Bielefeld 2021); aktuelles Buchprojekt: Musikgeschichtstheater. Nachdenken über Musik und Geschichte). Ihre binationale Promotion an der HMTM Hannover und der EHESS Paris schloss sie 2011 mit einer Arbeit zu Handlungsmöglichkeiten exilierter Musiker*innen im Paris der 1930er Jahre ab (erschienen als Topographien musikalischen Handelns im Pariser Exil, Hildesheim 2014).
Der Vortrag findet in Kooperation mit der Ortsgruppe Basel der SMG statt.
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