Unaufführbare Musik

Ullmann
Kagel

Gibt es so etwas wie unaufführbare Musik? Zunächst präsentiert sich der Begriff «unaufführbare Musik» als Paradoxon. Sind doch Aufführbarkeit und klangliche Verwirklichung Grundvoraussetzungen für Musik. Ausgehend von diesem Paradoxon lassen sich eine Vielzahl interessanter Aspekte der Musik aus einer ungewohnten Perspektive in den Blick nehmen. Quer durch die Musikgeschichte finden sich eine Vielzahl von Phänomenen, die die Notwendigkeit der Aufführbarkeit von Musik hinterfragen; insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Aufführbarkeit als Grundvoraussetzung von Musik explizit in Frage gestellt.

Doch was kann überhaupt unter «unaufführbarer Musik» verstanden werden? Einerseits sogenannt unspielbare Musik: von der auf die Spielanweisung «So rasch als möglich» folgende «Noch schneller!» in Robert Schumanns Klaviersonate op. 22 (1839) über Charles Valentin Alkans monströse spieltechnische Anforderungen in seinen Douze études pour tous les tons mineurs bis zum ungreifbaren Cembalopart in Oophaa von Iannis Xenakis (1989) aus der jüngeren Musikgeschichte.

Andererseits könnte man musikalische Kunstwerke, die sich einer (traditionellen) Aufführungssituation entziehen, als unaufführbar bezeichnen: Darunter fällt z.B. die Gattung des vor allem in der Renaissance und im Barock bekannten Rätselkanons. Beispiele aus der jüngeren Musikgeschichte sind Dieter Schnebels MO-NO. Musik zum Lesen (1969) oder Jakob Ullmanns due frammenti (für Luigi Nono) (1990, siehe Abbildung)die er selbst in die Werkkategorie «Aufführung utopisch» einordnet, und Peter Ablingers Werkkategorie der «Musik ohne Klänge», die für die Umsetzung keine ,Aufführung’ im herkömmlichen Sinne benötigt.

Der Begriff der «unaufführbaren Musik» schlägt auch Brücken zu anderen Kunstrichtungen: Die in Hanne Darbovens Installation Quartett 88 (1990) auftauchenden Musiknoten und die Tapete aus Beethoven-Noten in Mauricio Kagels Film Ludwig van (1970, siehe Abbildung) sind Beispiele für musikalische Notationsformen, die nicht direkt als musikalische Aufführungsanweisungen, sondern als gestalterische Mittel angewendet werden.

In meinem Forschungsprojekt untersuche ich unterschiedliche Phänomene unaufführbarer Musik, anhand derer gewisse Grundvoraussetzungen, die hinter Begriffen wie «Musik», «Werk» oder «werktreue Interpretation» stehen, untersucht werden können.

 

DoktorierenderJaronas Scheurer
Erstbetreuer*inMatthias Schmidt
Zweitbetreuer*in
Drittbetreuer*in

 

 

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